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Art Direction & Analog Photography & Idea: Lorena Lucek
Styling: Yanick Monteiro
Light: Lino Kalt
Lead Camera & Cut: Elay Leuthold
Camera & Cut: Anja Reichlin

Wut auf der Zunge

und Eierstöcke aus Stahl

Gäbe es eine jährliche Preisverleihung der «Bad Bitches», bei der Frauen geehrt würden, die nicht leicht zu vergessen sind, keineswegs einfach für den Verstand, mit Wut auf der Zunge und Eierstöcken aus geschmiedetem Stahl – die Arbeiterärztin Paulette Brupbacher stünde ohne Zweifel auf der Nominiertenliste für den «Baddest Bitch Lifetime Award». 

Als praktizierende Ärztin in Aussersihl der 1920ern, dem damaligen Arbeiterquartier Zürichs, beschreibt Paulette Brupbacher die ungewollten Schwangerschaften ihrer Patientinnen als «unter allen Problemen des Frauenlebens, das Tragischste». Sie setzt sich für die Legalisierung von Abtreibungen ein und beginnt selbst, Aufklärungsarbeit zu betreiben. Ihr Ziel: Frauen und Männern zu erklären, wie man erst gar nicht schwanger wird. 

 

Das zu einer Zeit, in der wir noch zirka 90 Jahre von der Fristenlösung entfernt sind und der eigene Sexualtrieb als unmoralisch angesehen wird. Wer keine Kinder möchte, soll enthaltsam leben, heisst es. Wer verhütet, der outet sich als Nymphomanin in Spé. 


So hält Paulette regelmässig Vorträge in grossen und kleinen Ortschaften in der Schweiz, bei denen sie im Detail unterschiedliche Verhütungsmethoden erklärt und anonyme Fragen aus dem Publikum beantwortet, wie beispielsweise: «Kann bei einem Geschlechtsverkehr die Frau auch befruchtet werden, wenn sie von dem Verkehr keinen Genuss hat?» – was zu einer Zeit, in der in Paulettes Worten «Menschen als sexuelle Analphabeten durchs Leben gehen», eine berechtigte Frage ist. 

In Solothurn erhält sie wegen ihrer Aufklärungsarbeit 1936 ein Redeverbot, das sogar das Bundesgericht bestätigt. Später verbietet ihr auch der Kanton Glarus das Auftreten. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg wird in der Schweiz Werbung für Verhütungsmittel per Strafgesetz verboten. Der Paragraph wird erst 1989 aufgehoben. Doch von all dem lässt sich Paulette Brupbacher nicht bremsen. Sie macht weiter – für Aufklärung, das Selbstbestimmungsrecht der Frau und Sexualität, die nicht von Moral bestimmt ist. 

 

Langsam öffnet die vorjährige Preisträgerin, Mileva Marić, das Couvert: «… und die Bad Bitch, die für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wird, ist … » Das Publikum schaut gespannt auf die Bühne, die Hände feucht vor Aufregung, jeder Atemzug ein Flüstern der Hoffnung. «Paulette Brupbacher! Herzliche Gratulation, Girl!»

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