







































Von weissen Ärschen
und Rassismus
Eigentlich wollte ich das nicht machen. Ich wollte die Debatte rund um Rassismus, People of Color überlassen. Denn es ist ihre Stimme, die endlich gehört werden soll. Ich halte ihnen dabei gerne das Mikrofon, aber sprechen sollen sie.
Dann nahm gestern die Migros die Schokoküsse «Dublers Mohrenköpfe» aus dem Sortiment und man hätte meinen können, dass den Schweizern gerade das Schmelzen von Käse verboten wurde und der Bundesrat deswegen Fonduegabeln auf dem Bundeshausplatz verbrennt. Aus diesem Grund mischt sich jetzt für die länge dieses Textes auch mein Arsch, der weisser nicht sein könnte, in diese Diskussion ein.
Ich bin fest überzeugt, dass die meisten Leute nicht rassistisch sein wollen. Sie machen es nicht absichtlich, aber sie wissen es halt auch einfach nicht besser. Das, meine Damen und Herren, ist unser weisses Privileg. Nicht zu wissen, wie Rassismus in der Schweiz denn aussieht oder nicht nachvollziehen zu können, wieso es verletzend ist, wenn man eine Person of Color nach ihrer Herkunft fragt. Also nicht Zürich, St. Gallen oder das Aargau, sondern halt eben, woher sie WIRKLICH kommen.
Ich kann auch nicht alles nachvollziehen, denn ich bin mit weisser Haut geboren und kenne die Probleme nicht, die es mit sich bringt, wenn man das nicht ist. Wenn mich jemand nach meiner Herkunft fragt, dann stört mich das nicht. Ich werde es aber auch nicht bei jeder Gelegenheit gefragt, da ich wie bereits erwähnt, weisser nicht sein könnte.
Aber ich kann die Empathie aufbringen und versuchen mir vorzustellen, wie sich das vielleicht für eine Person of Color anfühlen könnte, wenn sie regelmässig gefragt wird, woher sie denn kommt — und sich vielleicht deswegen nie so richtig dazugehörig fühlt. Mal ganz ehrlich, hast du dich in der Schweiz jemals wegen deiner Hautfarbe so gefühlt, als würdest du nicht dazugehören, obwohl du hier geboren wurdest? Ich auch nicht.
Nun können jetzt gerade ganz viele Leute halt nicht nachvollziehen, wieso denn so ein Theater um das M-Wort gemacht wird. Ist ja nur ein Wort und im übrigen hat man das schon immer so gesagt. Wenn man diese Süssigkeit verbannt, dann müsste man ja auch schwarze Schokolade und Weissbrot aus dem Sortiment nehmen. Und vor allen Dingen ist es halt eeeecht nicht beleidigend gemeint.
Eben diese fünf goldenen Worte können, in der Vorstellung von Weissen, Rassismus wie eine Art Zauberspruch verschwinden lassen: «Es ist nicht beleidigend gemeint». Das ist lieb von dir, dass du das nicht so gemeint hast. Weil wenn du es ja tatsächlich so gemeint hättest, dann wärst du ja wirklich ein Rassist. Macht Sinn.
Das heisst aber auch, dass wenn ich dir mit dem Auto über deinen Fuss fahre und danach sage: «Sorry, das war nicht meine Absicht!», dass dann dein Schmerz sofort wieder verschwinden müsste. Merkst du selber, hä? Tut er nämlich nicht. Nur weil es in deiner Wahrnehmung nicht böse gemeint ist, heisst das nicht, dass es die betroffene Person nicht verletzt.
Nun ist das M-Wort halt schlicht und einfach nicht mehr zeitgemäss. Seine negative Konnotation stammt aus der Zeit des Kolonialismus und der Sklaverei. Man ist also nicht wirklich viel besser, wie wenn man das N-Wort sagt — und bei diesem Wort sind sich ja ziemlich alle einig, dass man es nicht braucht. Aus diesem Grund muss man auch schwarze Schokolade und Weissbrot nicht aus dem Sortiment nehmen. Denn sie sind historisch nicht belastet.
Das Ganze würde geschichtlich noch ein bisschen tiefer gehen. Denn wird das Wort auch in der Rassentheorie gebraucht, wonach Schwarze den Weissen genetisch unterlegen sind. Wer es also in seinem Sprachgebrauch nutzt, der unterscheidet im Sinne der Rassentheorie Weisse von Schwarzen und unterstützt somit diesen Schwachsinn. Ich verstehe, wer das jetzt ein bisschen zu pingelig findet. Aber ich will nur aufzeigen, wieso es halt für eine Person of Color verletzend ist, wenn das Wort gebraucht wird.
Versuche dich mal in die Situation reinzuversetzen. Du bist schwarz in der Schweiz und du kennst die Geschichte hinter dem M-Wort. Dann gehst du in die Migros einkaufen, läufst am Süssigkeitenregal vorbei und dort siehst du ein Wort, dass dir in der Vergangenheit dein Mensch-Sein abgesprochen hat und dich wieder daran erinnert, dass du halt eben nicht gleich bist. Ansonsten würde ein solches Wort nicht mehr auf einem Dessert in der Migros stehen.
Jetzt rufen sehr viele Leute aus und fragen, ob wir denn nicht grössere Probleme mit Rassismus haben, als der Name einer Süssigkeit. Doch, haben wir. Und eben genau diese Probleme kommen genau jetzt zum Vorschein. Das sich in der heutigen Zeit eine Schokokuss-Marke noch offiziell «M-Kopf» nennen darf, diese bei einem der grössten Detailhändler in der Schweiz verkauft wird und man nicht versteht, wieso das falsch ist, zeigt welche Präsenz Rassismus in der Schweiz hat.
Einige haben mich darauf angesprochen, dass das Wort eine “gute” Entstehungsgeschichte hatte und es nur durch den Gebrauch während des Kolonialismus zu einem negativen Wort wurde. Diesen Leuten würde ich gerne einen Funfact mit auf den Weg geben, der geht so funny ist. Ihr kennt ja bestimmt alle das Hakenkreuz der Nazis. Auch dieses hat eine “gute” Entstehungsgeschichte. Es stammt nämlich aus dem Hinduismus und Buddhismus und war dort als Swastika ein religiöses Glückssymbol — bis es die Nazis für sich beansprucht haben und der Rest ist Geschichte. Dinge und Worte können im Nachhinein also negativ behaftet sein, auch wenn der ursprüngliche Gedanke dabei unschuldig war.
Eine Gesellschaft ist in einem steten Wandel. Werte ändern sich und Traditionen werden überdacht — und das ist gut so. Ansonsten könnten wir allen Frauen ihr Stimmrecht wieder entziehen,Vergewaltigung in der Ehe gäbe es auch nicht mehr und am Besten beginnen wir doch gleich wieder Sklaven zu halten, das war ja schon unglaublich praktisch. Nein. Wir als Gesellschaft in der Vergangenheit gecheckt, dass diese Dinge nicht in Ordnung sind und haben etwas dagegen gemacht. Das Gleiche soll jetzt mit Rassismus passieren.
Das funktioniert aber nur, wenn wir Weissen uns endlich mal nicht mehr wie Kleinkinder verhalten, die nie gelernt haben zu teilen. Gleichberechtigung ist kein Kuchen. Nur weil andere ein Stück davon bekommen, haben wir am Ende nicht weniger davon. Ganz im Gegenteil. Desserts sind da, um gemeinsam gegessen zu werden. Sonst wären Geburtstagskuchen schon längst überflüssig.
Und ja man, es ist fucking anstrengend, sich aus seiner Comfort-Zone zu bewegen. Es ist ja gemütlich, so wie es ist, mit diesen ganzen Privilegien, die man als weisse Person hat. Aber wisst ihr, was auch anstrengend ist? Diskriminierung zu erfahren, einfach nur, weil du so aussiehst, wie du aussiehst.
Das nächste Mal, bevor ihr euch aufregt über etwas, das euch eigentlich gar nicht wirklich betrifft –
Ich meine, mal ganz ehrlich. Ob diese Süssigkeit nun Schokokuss oder M-Kopf heisst, betrifft euch in keinster Weise. Ebenso zwingt euch die Migros auch nicht dazu, für immer und ewig auf Schokoküsse zu verzichten. Es gibt nämlich auch noch andere Marken. Also, bevor ihr hässig werdet, denkt einmal kurz darüber nach, wie sich vielleicht eine andere Person damit fühlt.
Das klingt jetzt einfach. Aber mir ist bewusst, dass es das nicht ist. Wie schon am Anfang gesagt, ist es als Weisser manchmal sehr schwierig nachzuvollziehen wie sich eine Situation für eine Person of Color anfühlt. Deswegen: Redet über Rassismus, stellt Fragen. Versucht zu verstehen, welche Anliegen sie haben und woher diese kommen — nicht People of Color, sondern die Anliegen, gopf!
Lest Bücher, hört Podcasts. Informiert euch. Ihr werdet Fehler machen, ja. Die mache ich auch. Wenn euch jemand auf etwas rassistisches hinweist, dann nehmt nicht sofort eine Abwehrhaltung ein, sondern sucht den Diskurs, fragt nach. Denn nur so kommen wir irgendwann ans Ziel. So, jetzt gebe ich das Mikrofon gerne wieder zurück.